Evil West im Test: Der Gegenentwurf zu modernen Shootern ist nicht für jeden geeignet

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Ein linearer Shooter ohne Open World oder Live-Service klingt für euch nach einer herrlichen Abwechslung? Dann ist Evil West wie für euch gemacht.

Eines kann man Evil West sicher nicht vorwerfen: Dass es sich verstellt und als etwas ausgibt, das es weder sein will noch kann. Heutzutage müssen Spiele allgemein und Shooter im Speziellen unzählige Checkboxen abhaken: Multiplayer muss es sein und Live-Service am besten, Open World, wenn’s geht, oder zumindest nicht mit strunzlinearen Levels.

Evil West bietet nichts davon, es ist ein Actionspiel aus einer anderen Zeit, laut, dumm und inspiriert von Oldschool-Shootern. Wer einfach nur eine launige (aber kurze) Ballerei durch eine unterhaltsame Solo-Kampagne erwartet (mit optionalem Koop-Modus), Vampire gerne im Dutzend pfählt und auf komplexe Kampfsysteme steht, der wird mit Evil West daher eine Menge Spaß haben, sofern er seine oder ihre Erwartungen an Grafik und Story vorher herunterschraubt.

Grausiger Einstieg

Evil West hinterlässt keinen guten Ersteindruck. Die Grafik ist altbacken, die vielen Zwischensequenzen starten und enden oft völlig unvermittelt und haben manchmal abrupte Sprünge in der Story, das Kampfsystem ist anfangs arg zäh. Das geht damit los, dass der Protagonist mit dem weihnachtlichen Namen Jesse Rentier seine Gegner anfangs überwiegend im Nahkampf bearbeitet. Ihr findet zwar kurze Zeit später einen Revolver, der verursacht aber erst mal derart geringen Schaden, dass er mehr frustriert als Spaß macht.

(Im fahlen Mondschein bekämpfen wir Vampire vor einer brennenden Kirche.)
(Im fahlen Mondschein bekämpfen wir Vampire vor einer brennenden Kirche.)

Eine Weile später bekommt ihr ein Gewehr, das ebenfalls eher geringen Schaden verursacht und in erster Linie verwendet wird, um Boss-Attacken zu unterbrechen oder auf gelegentlich entblößte Schwachstellen irgendwelcher Trashmobs zu schießen.

Darauf folgt eine Schrotflinte, die mit der brachialen Gewalt einer Ameisenflatulenz reinhaut – das Schussgeräusch geht im etwas unglücklichen Sound-Mixing oft völlig unter, die Schadenswirkung ist ohne Upgrades kaum der Rede wert und nach nur einem Schuss hat der Püsterich eine Abklingzeit von einer gefühlten halben Stunde. Flying Wild Hog hat es tatsächlich geschafft, eine Schrotflinte in einem Shooter langweilig zu machen! Das hatten sie in Shadow Warrior schon mal besser drauf.

Tastatur nur für Tintenfische

Ihr könnt Evil West wahlweise per Gamepad oder mit Maus und Buchstabenpiano spielen. Lobenswert: Ihr könnt alle Tasten frei belegen. Falls ihr eines besitzt, solltet ihr jedoch unbedingt per Gamepad spielen, denn die Tastatur … sagen wir mal so: Mit der linken Maustaste haut ihr drauf, es sei denn, ihr haltet die rechte Maustaste dabei gedrückt, dann schießt ihr mit dem Gewehr.

E feuert den Revolver ab, F bedient die Schrotflinte, mit Q könnt ihr Blocken, Q+W ist eine Ansturmattacke, mit W+S zieht ihr Gegner an euch heran. Lasst ihr die linke Maustaste gedrückt, startet ihr einen schweren Nahkampfangriff. Haltet ihr dabei auch noch W gedrückt, wirbelt ihr einen Feind in die Luft. Macht ihr das stattdessen im Sprint, folgt die Sprungattacke.

Mit R könnt ihr kicken und unterbrechen. Außerdem gibt es einen Elektroschlag, einen Schockstab, sowie separate Tasten für Supermodus, für Gatling-Gun, Armbrust, Sprengstoff, sowie Flammenwerfer. Ich habe Flugsimulationen gespielt, deren Tastatursteuerung weniger umfangreich war.

Ich sage nicht, dass man das nicht trotzdem lernen und meistern kann, aber falls ihr eher Gelegenheitsspieler seid und zwischen den Sitzungen auch mal zwei oder drei Tage Pause macht – viel Spaß beim Versuch, euch daran zu erinnern, wie Evil West überhaupt gespielt wird! Die Gamepad-Steuerung ist einfacher und intuitiver, schon weil die Benutzeroberfläche komplett darauf ausgelegt ist und beim Einsatz der Tastatur keine große Hilfe darstellt.

(Schwer angeschlagene Feinde vernichtet ihr mit blutigen Finishern.)
(Schwer angeschlagene Feinde vernichtet ihr mit blutigen Finishern.)

Es wird besser

Nach der ersten Handvoll Missionen wird das Spiel langsam angenehmer. Über Stufenaufstiege und Spielwährung schaltet ihr Upgrades und Perks frei, mit denen ihr eure Schadenswirkung verbessert, dann gehen die Kämpfe flotter von der Hand. Trotzdem stecken größere Gegner zum Teil sehr viel ein, bis sie endlich mal das Zeitliche segnen, selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad.

Für den Story-Modus war ich zu stolz, für die Schwierigkeitsgrade über Normal und den Permadeath-Modus nicht masochistisch genug. Nicht falsch verstehen: Auf Normal ist das Spiel nicht zu schwierig, die Kämpfe dauern teils nur sehr lange, besonders die Handvoll großer Story-Endbosse.

Generell sind schnelle Reflexe für Ausweichmanöver und Paraden hilfreich, auch wenn das Paradefenster hier deutlich großzügiger ausfällt als beispielsweise in Dark Souls oder Elden Ring. Gutes Spielen wird in Evil West belohnt und sieht echt cool aus! Wenn ihr allerdings darauf hofft, einfach nur gemütlich alles wegzuballern, wird euch der Titel möglicherweise überfordern. Die Knarren dienen hier eher als situationsbedingte Werkzeuge und nicht als Massenvernichtungswaffen.

Für mich fühlt sich Evil West mit seinen Moves und Möglichkeiten überladen an. Auf der einen Seite habe ich ein riesiges Sammelsurium an Sprengstoff, großen und kleinen Knarren, die Minigun und einen Flammenwerfer, andererseits hat alles davon extrem knappe Munition und ewig lange Abklingzeiten wie in einem MMO. Alles will mit Bedacht und strategisch eingesetzt werden.

(Viele Areale sind knallrot und stehen in Flammen. Der Look des Spiels wirkt oft etwas angestaubt.)
(Viele Areale sind knallrot und stehen in Flammen. Der Look des Spiels wirkt oft etwas angestaubt.)

Halb so viele Waffen hätten mir gereicht, wenn sie dafür mehr Power und kürzere Abklingzeiten hätten. Oder vielleicht eine Shotgun mit mehr als nur einen einzigen Schuss pro Cooldown. Vor allem sieht Jesse mit vollends freigeschaltetem Arsenal aus wie eine wandelnde Altmetallsammlung, weil jede Waffe sichtbar an seinem Körper dargestellt wird.

Unsympathische Typen

Im Spiel begegnen euch überwiegend zwei Sorten von Charakteren: Schlecht gelaunte Ekelpakete, die pausenlos irgendwelche Kraftausdrücke mit vier Buchstaben in die Welt schreien und sozial ungeschickte Nerds, die für lahme Gags herhalten. Anstelle irgendwelcher coolen Einzeiler wird geflucht, keine der Figuren ist irgendwie liebenswert oder interessant. Als Jesses Weggefährte Edgar im Verlauf der Story in Lebensgefahr gerät, interessiert mich das null, weil keiner der beiden eine Persönlichkeit hat. Die Story ist voll der üblichen Klischees, irgendwelche Tode oder dramatischen Momente lösen keinerlei Emotion aus.

(Die Zwischensequenzen sind nicht ganz auf der Höhe der Zeit, die Story ist voller Längen und Klischees.)
(Die Zwischensequenzen sind nicht ganz auf der Höhe der Zeit, die Story ist voller Längen und Klischees.)

Abgerundet wird das Spielerlebnis durch problematische Technik. Mein System übertrifft um Längen die empfohlenen Systemspezifikationen, trotzdem kommt es in meiner Testversion immer wieder mal zu nervigen Rucklern und Hängern.

Der Flammenwerfer-Soundeffekt endet regelmäßig in einer Endlosschleife, die bis zum Ende des Levels oder zumindest bis zum Neustart aus den Lautsprechern quillt. Nach einem größeren Puzzle entschied sich Jesse beim Test, im Boden steckenzubleiben und rührte sich fortan nicht mehr.

Einzige Lösung: zurück zum Titelbildschirm. Mit folgender Einblendung: »Sind Sie sicher? Alle nicht gespeicherten Fortschritte gehen verloren. Zuletzt gespeichert: vor 15 Minuten.« Da halfen auch die vielen automatischen Checkpoints nicht.

Coole Momente

Das klingt jetzt womöglich alles total schlimm, doch Evil West hat durchaus seine Stärken. Im späteren Spielverlauf gibt es ein paar richtig sehenswerte und toll inszenierte Levels und auch ein paar schicke Effekte, wenn ihr Risse in der scheinbaren Realität erzeugt, um versteckten Vampiren auf die Schliche zu kommen.

Die Vampire werden immer ausgefallener und gefährlicher. Die Story nimmt im letzten Drittel ordentlich an Fahrt auf und wird zwar niemals wirklich überraschend oder originell, treibt die Action aber zumindest einigermaßen unterhaltsam voran.

(Manchmal erzeugt ihr Risse in der vermeintlichen Realität, um versteckte Vampire zu enthüllen.)
(Manchmal erzeugt ihr Risse in der vermeintlichen Realität, um versteckte Vampire zu enthüllen.)

Wenn ihr die Kämpfe vollends beherrscht und versteht, welche Waffen und Manöver für welche Situationen geeignet sind, sehen die Kloppereien richtig gut aus und machen auch ordentlich Spaß. Schwer verletzte Feinde rotzt man mit spektakulären Finishern weg, kunstvoll beseitigte Gegner hinterlassen mehr Pickups und befeuern bessere, schnellere Gefechte.

Es fühlt sich gut an, ganze Legionen von Viechern aufzureiben, die wenige Missionen zuvor noch Zwischenbosse waren, und dabei irgendwann keinen Kratzer mehr abzubekommen. Ihr spürt, wenn ihr spielerisch besser werdet. Auch das Upgrade-System ist überwiegend interessant.

(Waffen Upgrades sind spaßig und mache viele schwächliche Schießprügel wesentlich unterhaltsamer.)
(Waffen Upgrades sind spaßig und mache viele schwächliche Schießprügel wesentlich unterhaltsamer.)

Ja, vereinzelt gibt es ein paar lahme Aufwertungen wie eine zusätzliche Patrone im Magazin oder leicht verkürzte Abklingzeit, aber wenn euer geworfener Sprengstoff plötzlich Tornados auslöst oder euer Revolver Elektrokugeln verschießt, die von Feind zu Feind wandern, wirkt sich das merklich auf eure Kampfkraft und damit auch auf den Spielspaß aus. Wie schön, dass sich das alles nach Abschluss der Story ins New Game Plus mitnehmen lässt!

(Dicke Brocken, die anfangs als Zwischenbosse auftreten, werden später zu regulären Gegnern. Da benötigt ihr euer gesamtes Arsenal!)
(Dicke Brocken, die anfangs als Zwischenbosse auftreten, werden später zu regulären Gegnern. Da benötigt ihr euer gesamtes Arsenal!)

Mit rund neun Stunden Spielzeit war mir Evil West fast schon etwas zu lang, weil sich Feinde trotz großer Vielfalt gegen Ende recht häufig wiederholten, aber immerhin habt ihr hier reichlich zu tun. Zudem gibt es trotz Schlauch-Design überall versteckte Kisten mit Perks, Skins und anderen Goodies, sodass mehrmaliges Durchspielen belohnt wird.

Fazit der Redaktion

Um mit Evil West warm zu werden, muss man sein ungewöhnliches Kampfsystem akzeptieren und lernen. Nahkampf ist hier ebenso wichtig wie Schusswaffen, gutes Timing für Ausweichrollen und zum Blocken ist Pflicht. Man kann Gegner zwar aus sicherer Distanz mit dem Gewehr aufs Korn nehmen. Aber selbst, als ich das Teil voll zur Railgun aufgewertet habe, war der Schaden einfach nicht der Rede wert, Kämpfe gegen wirklich dicke Monster zogen sich ewig in die Länge. Eure Gegner sind übernatürliche Kugelschwämme, die massig Schaden absorbieren.

Grundsätzlich habe ich nichts gegen komplexe Kampfsysteme, finde die Umsetzung hier aber zumindest in Teilen unnötig und oft mehr frustrierend als spaßig. Was zur Hölle soll ich mit einer Schrotflinte, die ich alle fünf Minuten exakt ein einziges Mal abfeuern kann? Ja, das ist vom Spieldesign so gewollt, aber es polarisiert eben. Ich finde Waffen als Werkzeug nur so mittelmäßig prall, anderen mag das gefallen, weil es so taktischer ist.

Ich brauche auch keine lahmen Schalterrätsel in ansonsten rasanten Shootern. Oder gut drei Milliarden Zwischensequenzen, wenn die Story über große Strecken öde und berechenbar ist und die Charaktere null Persönlichkeit besitzen. Besonders dann, wenn es oft verwirrende Szenenwechsel gibt und die Präsentation so angestaubt wirkt. Unterm Strich sehen die Kämpfe immer noch sexy aus und spielen sich spaßig, wenn man sie draufhat.

Evil West ist ein typisches AA-Game, das sein bescheidenes Budget nicht leugnen kann. Bleibt die Frage, ob euch das stolze 50 Euro wert ist oder ob ihr nicht doch lieber auf den nächsten Sale wartet. Für die bei mir aufgetretenen technischen Schwierigkeiten werte ich vorerst nicht ab, denn auf einem anderen Rechner hatte Kollege Fritz keine Probleme.