Marvel Snap im Test: Warum es für Thomas das schlauste Spiel des Jahres ist

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Marvel Snap im Test: Warum es für Thomas das schlauste Spiel des Jahres ist

Über acht Millionen Downloads im ersten Monat, 86 Prozent positive Steam-Reviews: Thomas hat sich in Marvel Snap gestürzt, um rauszufinden, was hinter dem neuen Sammelkarten-Hype steckt.

Ich stehe jeden Tag um die gleiche Zeit auf (ja, auch am Wochenende), ich frühstücke jeden Tag das gleiche Müsli, ich gehe alle zwei Wochen in die gleiche Kneipe, und ich spiele jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit ein paar Partien Hearthstone. Pedanten wie mich macht wenig glücklicher als Routinen.

Blizzards Sammelkartenspiel hat mich nun schon seit acht Jahren an der Angel. Wenn ich also plötzlich in der U-Bahn ein anderes Trading Card Game ausprobiere, dann kommt das einem mittelgroßen Wunder gleich. Nur mittelgroß, weil das Wunder Marvel Snap vom gleichen Game Designer erdacht wurde wie seinerzeit Hearthstone, nämlich Ben Brode.

Das hat mich ebenso neugierig gemacht wie die Tatsache, dass dieses Marvel Snap seit Release nicht nur wahnsinnig erfolgreich ist, sondern selbst in meiner eher Free2Play-kritischen Filter Bubble sehr gut ankommt.

Eigentlich wollte ich nur mal kurz reinschauen. Eigentlich. Aus kurz wurden locker zehn Partien pro Tag, Marvel Snap hat mich inzwischen gnadenlos am Haken. Weil dieses Spiel einfach unfassbar schlau ist!

Schlauheit 1: Maximaler Spaß in minimaler Spielzeit

Marvel Snap trimmt sein Spielprinzip mit beispielloser Konsequenz auf Kurzweil. Mein Deck besteht aus gerade mal zwölf Karten mit unterschiedlichen Kampfwerten, die ich in sechs Runden gleichzeitig mit meinem Gegenüber und verdeckt auf drei Standorte verteile.

Erst nach Ablauf der sechs Runden werden die jeweiligen Kampfwerte pro Standort addiert, wer zwei der drei Orte dominiert, gewinnt auch die Partie. Erst bei Gleichstand entscheidet der Gesamtwert der Karten, was in meinen weit über hundert Matches allerdings bis dato nur zwei Mal vorkam.

Weitaus häufiger habe ich Partien mit schwächeren Kartenwerten gewonnen, weil ich sie cleverer auf die Standorte verteilt habe als meine Gegnerin oder mein Gegner.

Weil es lediglich sechs Runden samt Zeitlimit gibt, dauern die Partien nur drei bis maximal fünf Minuten. Aber in diesen drei Minuten geht der Punk ab! In nahezu jedem Zug passiert etwas Cooles, Ärgerliches und/oder Spannendes, selbst längst verloren geglaubte Partien können sich mit der letzten gespielten Karte noch drehen.

Noch mehr Drama bringt der namensgebende »Snap« ins Trading Card Game: Bin ich siegessicher, aktiviere ich den und verdopple so die Ranglistenpunkte, die ich gewinnen oder verlieren kann.


Falls mein Gegenüber ebenfalls snapped, bedeutet das sogar eine Vervierfachung. Selbstverständlich kann jeder Snap aber genauso gut ein verzweifelter Bluff sein, der zum frühzeitigen Rückzug animieren soll.

Das Prinzip von Marvel Snap habt ihr nach fünf Minuten kapiert und trotzdem werdet ihr selbst nach Hunderten Partien noch Neues lernen und erleben.

Schlauheit 2: Das Vermeiden der Trading-Card-Fallen

Das Besondere von Marvel Snap: Es jongliert derart clever mit Zufallselementen, dass einerseits die genre-typische Routine nie eine Chance bekommt, ich aber andererseits fast (!) immer das Gefühl habe, dass die bessere Taktik entscheidet und nicht das Glück.

Das wichtigste Zufallselement sind die drei Standorte, die in den ersten drei Zügen nach und nach aufgedeckt werden. Von denen gibt es schon jetzt mehr als 50, und sie nehmen entscheidenden Einfluss auf die Partien. Mal erhöhen oder reduzieren sie nach bestimmten Regeln die Kartenwerte, mal verändern sie die Decks, mal zerstören sie gleich komplette Karten oder Schauplätze.

(Eigentlich ein super Plan, die Kombination aus Blade und Wolverine an einem verdeckten Schauplatz im ersten Zug auszuspielen. Würden nicht nach Zug 3 die Karten die Seiten wechseln! Grmblmmpf.)
(Eigentlich ein super Plan, die Kombination aus Blade und Wolverine an einem verdeckten Schauplatz im ersten Zug auszuspielen. Würden nicht nach Zug 3 die Karten die Seiten wechseln! Grmblmmpf.)

Anders als in Hearthstone kann ich deshalb meine Deck-Strategie nur selten von A bis Z durchziehen, sondern muss sie flexibel und clever den jeweiligen Schauplatz-Gegebenheiten anpassen.

Auch beim eigentlichen Kartenziehen balanciert Marvel Snap meisterhaft auf dem schmalen Grat zwischen Zufallsspannung und taktischer Einflussnahme. Denn bei nur sechs Runden und zwölf Karten im Deck weiß ich, dass ich in der Regel neun davon ausspielen kann (drei habe ich zu Partiebeginn bereits auf der Hand).

Aber natürlich spielt die Reihenfolge des Ziehens eine wichtige Rolle für das Gelingen meiner Strategie, was wiederum sowohl die Schauplätze manipulieren können, als auch manche Kartenfähigkeiten.

(Bereits nach wenigen Stunden habt ihr eine ansehnliche Kartensammlung beisammen, was es herrlich knifflig macht, die zwölf Auserwählten für die eigene Deck Strategie zusammenzustellen.)
(Bereits nach wenigen Stunden habt ihr eine ansehnliche Kartensammlung beisammen, was es herrlich knifflig macht, die zwölf Auserwählten für die eigene Deck Strategie zusammenzustellen.)

Ein großes, ebenso spannendes wie cleveres Sammelkartenspiel-Ganzes ergeben all diese Elemente aber erst deshalb, weil sie das Antizipieren der gegnerischen Strategie belohnen. Während ich in Hearthstone in 90 Prozent der Fälle einfach nur mein Ding durchziehe, grüble ich in Marvel Snap vor allem darüber, was mein Gegenüber vorhat und wie ich es am besten kontern kann.

Im Ergebnis erzählt nahezu jede Partie ihre eigene Geschichte. Was Marvel Snap in gerade mal drei Minuten an Spannung, Überraschung, Dramatik, Ärger und Jubel abfeuert, habe ich in dieser Geballtheit wirklich noch nie erlebt.

Schlauheit 3: Ein Sammelkartenspiel ohne Pay2Win

Ein Trading Card Game bedeutet eigentlich per Definition automatisch auch Pay2Win. Denn je mehr Karten ich mir kaufe, desto mehr Optionen bekomme ich, mir ein schlagkräftiges Deck zusammenstellen.

Und bereits hier haut Marvel Snap Free2Play-Skeptikern wie mir das erste »Denkste!« um die Ohren. Denn bis auf eine Ausnahme lässt es mich schlicht keine Karten kaufen. Die Ausnahme betrifft den Season Pass, dessen kostenpflichtige Variante auch eine Handvoll Karten enthält. Diese Karten sind aber zum einen nach meinen Spieleindrücken nicht übermächtig, zum anderen können sie nach Ablauf des Season Passes auch ohne Geldeinsatz freigeschaltet werden.

Generell verzichtet Marvel Snap genre-untypisch komplett auf den Einsatz von Kartenpaketen, sprich Lootboxen. Stattdessen schaltet ihr neue Karten automatisch frei, indem ihr eure bereits erhaltenen aufwertet, was die Spielwährung Credits erfordert. Dadurch bekommen die Karten nicht nur einen schickeren Rahmen oder einen 3D-Effekt, sondern es erhöht auch euren Sammlungslevel, was euch mit jeder Stufe Spielwährung oder eben neue Karten beschert.

Die zwei Balancing-Tricks von Marvel Snap: 1. Es unterteilt seine über 200 Karten auf drei Pools und lässt nur Spielerinnen und Spieler des gleichen Pools gegeneinander antreten, was Chancengleichheit gewährleistet. 2. Es verteilt die Reihenfolge der Karten-Freischaltungen bei jedem anders. So kennt ihr spätestens nach rund zwei Dutzend Partien sämtliche Karten eures Pools, trefft aber immer wieder auf neue Deck-Konstruktionen.

Dieses Prinzip macht das Deck Building zwar weniger planbar als in anderen Trading Card Games, zumal ihr Karten anders als in Hearthstone auch nicht craften könnt. Solange es sich im Ergebnis aber so fair und ausgewogen anfühlt wie in meinen Testpartien, nehme ich diese Einschränkung sehr gern in Kauf.

Natürlich möchte Marvel Snap trotzdem euer Geld. Neben dem Premium Season Pass könnt ihr vor allem Gold kaufen, das sich wiederum in Credits umtauschen lässt, die ihr für Upgrades und entsprechend auch Karten-Freischaltungen benötigt. Letzten Endes erkauft ihr euch also mehr Tempo beim Ausbau eures Kartenpools.


Weil ihr aber genauso durch regelmäßiges Spielen in kurzer Zeit eine konkurrenzfähige Kartenauswahl zusammensammelt und auch Zahler keinerlei Einfluss auf die Reihenfolge der freigeschalteten Karten haben, fühlt sich Marvel Snap um einiges fairer an als die prominente Trading-Card-Konkurrenz.

Warum ein so schlaues Spiel keine höhere Wertung bekommt

Marvel Snap macht für mich also schon jetzt einige entscheidende Dinge besser als mein Dauerbrenner Hearthstone und bekommt trotzdem eine schlechtere Wertung – wie passt das zusammen? Das liegt an drei elementaren Schwächen, bei denen Blizzards Trading Card Game einfach in einer anderen Kartenliga spielt:

1. Der geringe Umfang: Natürlich kämpft Marvel Snap hier mit weitaus geringeren Mitteln als ein Hearthstone, das inzwischen seit acht Jahren regelmäßig neue Inhalte nachschießt. Dennoch lässt sich nun mal nicht von der Hand weisen, dass Marvel Snap abseits des zentralen PvP-Modus noch nichts zu bieten hat. Und da dieser konsequent auf Kurzweil getrimmt ist, macht das für ein Viertelstündchen eine Megalaune, nach spätestens zehn Partien und allen mitgenommenen Tagesboni geht Marvel Snap aber spürbar die Puste aus.

2. Die spröde Präsentation: Marvel Snap ist großartig lesbar und läuft vermutlich selbst auf eurem Toaster, holt ansonsten aber enttäuschend wenig aus der starken Lizenz und den Möglichkeiten eines digitalen Kartenspiels. Animationen sind ebenso Mangelware wie Spezialeffekte, weshalb sich eure Marvel-Helden selten wie echte Helden, sondern meist nur wie … nun ja … Karten anfühlen.

3. Die miserable PC-Portierung: Ihr merkt Marvel Snap ab der ersten Spielsekunde an, dass es nur mit einer Plattform im Hinterkopf entwickelt wurde: eurem Handy. Auf dem Smartphone flutscht das Kartenkloppen wunderbar und lässt sich im Gegensatz zu Hearthstone sogar mit nur einer Hand problemlos bedienen.

Auf dem PC wirkt die offizielle Steam-Version dagegen kaum professioneller als ein 08/15 Android Emulator. Das Spielfeld bleibt hochkant und die Auflösung wird einfach hochskaliert, was euch das Gefühl vermittelt, auch auf eurem Gaming-PC nur ein Mobile Game zu spielen.

Diese drei Kritikpunkte ändern jedoch nichts daran, dass Marvel Snap mit seinem unfassbar schlauen Spieldesign tatsächlich das Unmögliche geschafft hat: Ich stehe jeden Tag um die gleiche Zeit auf, ich frühstücke jeden Tag das gleiche Müsli, ich gehe alle zwei Wochen in die gleiche Kneipe, und ich spiele jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit ein paar Partien Marvel Snap.

Fazit der Redaktion

So gern ich Hearthstone acht Jahre lang täglich gespielt habe, so sehr ist mir bewusst, dass ich eigentlich nur eine Routine abspule. Denn nach spätestens drei bis vier Zügen wissen sowohl ich als auch mein Gegenüber, was wir jeweils vorhaben. Der Rest der Partie besteht aus Hoffen auf Ziehglück und dem Runterspielen der ewig gleichen Kartenkombination.

Marvel Snap reißt mich mit beeindruckender Konsequenz aus dieser Routine, weil es aus dem Nebeneinanderspielen wirklich ein Gegeneinanderspielen macht. Je besser ich antizipiere, was mein Gegenüber vorhat, desto effizienter werden meine Karten und Deckstrategien. Und deshalb schmecken mir hier die Siege um ein Vielfaches süßer als in Hearthstone.

Regelwerk, Motivationsspirale und Free2Play-Fairness sind wirklich bis ins letzte Detail schlau durchdacht. Nahezu jede Partie erzählt ihre eigene Geschichte und das Aufwerten und Sammeln der bekannten Marvel-Helden motiviert mich nun schon seit Wochen zum täglichen Login, ohne dass ich mich dazu gegängelt fühle.

Allerdings muss ich zugeben, dass ich Marvel Snap vor allem auf dem Handy spiele, wofür es auch offensichtlich ausgelegt ist. Auf dem PC funktioniert das temporeiche Kartenkloppen zwar spielerisch genauso gut, die spröde Inszenierung fällt hier aber viel stärker ins Gewicht und ins Auge als auf einem kleinen Handybildschirm.

Falls ihr aber nach einem neuen mobilen Zeitvertreib sucht, findet ihr aktuell kaum etwas Kurzweiligeres als Marvel Snap.