Frozen Flame im Test: Zwei große Inspirationen, ein seltsames Rollenspiel

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Frozen Flame lässt sich von gleich zwei großen Vorbildern inspirieren, doch zündet die Action-Adventure- und Survival-Mischung schon im Early Access?

Es gibt Spiele, die einem auf Anhieb vertraut vorkommen. Manchmal ist das etwas Gutes, denn man fühlt sich sofort zu Hause, kann sich grundlegende Mechaniken intuitiv erschließen und somit stärker auf die Atmosphäre und individuelle Besonderheiten achten.

Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen, wenn einen generisch wirkende Versatzstücke aus eben jener Atmosphäre herausreißen und die vermeintlich neu zusammengesetzten Elemente aus anderen Spielen nun nicht mehr ordentlich ineinandergreifen.


In seiner am 17. November 2022 erschienenen Early-Access-Version kommt Frozen Flame der zweiten Kategorie bedrohlich nahe. Warum das Survival-Rollenspiel für ein bis fünfzig (!) Spieler vom russischen Entwickler Dreamside Interactive trotzdem jede Menge Potenzial hat, verraten wir euch in unserem Test. Damit ihr euch vorab schon mal einen Eindruck vom Spiel machen könnt, gibt»s hier zehn Minuten Gameplay:

Zelda, bist du das?

Die Ähnlichkeiten zu The Legend of Zelda: Breath of the Wild lassen sich bei Frozen Flame genauso wenig leugnen wie seinerzeit bei Genshin Impact. Von der reduzierten Comicgrafik über das Monsterkloppen mit zerbrechlichen (aber reparierbaren!) Waffen und zahllosen Mini-Rätseln bis hin zur entspannten Weltenerkundung via Gleit… äh Geistervogel ist alles dabei.

(Das erste Kapitel findet im Tal unter uns statt, das zweite auf den fliegenden Inseln dahinter. Der dort freigeschaltete Flugmodus macht das Reisen deutlich angenehmer.)
(Das erste Kapitel findet im Tal unter uns statt, das zweite auf den fliegenden Inseln dahinter. Der dort freigeschaltete Flugmodus macht das Reisen deutlich angenehmer.)

Dennoch solltet ihr euch jetzt nicht auf ein episches Abenteuer mit Nintendo-Gütesiegel einstellen, denn abgesehen davon, dass Frozen Flame noch einen weiten Weg vor sich hat, eifert es weit mehr als nur einem Vorbild nach.

Auch ein Bausystem mit rudimentärer Statik à la Valheim steckt mit drin. Und dann wäre da noch der zerstörerische Survival-Multiplayer samt optionalem PvP, der tief vergraben in den Design-Entwürfen schlummert — doch darüber sprechen wir gleich noch.

In seiner derzeitigen Form ist das Spiel vor allem ein Action-Adventure mit Schulterperspektive, indem ihr die bunte Fantasy-Welt Arcana vor der drohenden Zerstörung durch einen Oberbösewicht retten sollt. Der sogenannte »Gesichtslose« hat die gleich zu Beginn am Horizont thronende Eisfestung erobert, um von dort aus Zerstörungswellen über das Land zu jagen.

Die magiebegabte Hüterin Mithra, eine der letzten Menschen, bringt mithilfe des ewigen Drachen Chronos ehemalige Helden aus dem Reich der Toten zurück, damit sie die fiesen Pläne der humorlosen Minusvisage durchkreuzen.

Survival? Nur auf dem Papier

Von großen Erklärungen halten die beiden allerdings nicht viel und so setzt euch Mithra frisch revitalisiert in einem hübschen grünen Tal ab und überlässt euch halbnackt den Naturgewalten. Eure ersten Schritte sind typisch Survival: Zweige und Steine vom Boden aufklauben, Axt basteln, Bäume fällen, eine erste Waffe und klapprige Hütte bauen.

Weil ihr eure Handwerksutensilien grob gesagt nur einmal pro Kapitel/Welt braucht, um euch die jeweils neue Ausrüstung zu bauen, verliert sich der Survival-Aspekt aber sofort wieder. Für den Rest der Zeit reicht es, ab und zu eine eingepackte Werkbank zum Reparieren aufzustellen. Essen, trinken oder schlafen könnt ihr, müsst aber nicht.

Die 49 Kochrezepte, die sich aus den sieben jeweils in Zweierpärchen verkochbaren Zutaten wie Fleischkeulen oder Pilzen zusammensetzen, dienen lediglich zur Heilung im Kampf und bringen marginale Gesundheits-, Ausdauer- oder Resistenz-Buffs mit sich. Alternativ lernt ihr einfach Heilzauber, braut Tränke (Heilung, Ausdauer und Kampfenergie) oder mampft Rohkost.

Ein ordentlich konstruiertes Eigenheim würde euch und eure gelagerten Schätze zwar effektiv vor (theoretischen) harschen Umweltbedingungen schützen, doch aufgrund von Community-Feedback haben die Entwickler den kompletten Zerfall von Strukturen inzwischen deaktiviert. Gegner greifen eure Truhen und Werkbänke ohnehin nicht an und vor der nächtlichen Kälte schützt ein aktuelles Rüstungsset in ausreichendem Maße.

Generell ist der (nur über eine .ini-Datei veränderbare) Schwierigkeitsgrad extrem seicht. Zwar kippt ihr zu Beginn im Nahkampf regelmäßig aus den Latschen, doch nach der ersten Crafting-Hürde (und einem etwaigen Umsatteln auf Fernkampf) stellen sich euch kaum noch größere Hindernisse in den Weg. Außer vielleicht die unpräzisen Kartenangaben, die nicht einmal die Namen der eingetragenen NPCs anzeigen.

Obwohl die Produktseite schon jetzt mit Survival-Gameplay und dem Bau eigener Festungen gegen die zerstörerische Kraft des Ewigen Winters wirbt, dürften diese Features laut Roadmap noch mindestens bis zum zweiten Quartal 2023 auf sich warten lassen. Frühestens dann soll ein eigener Survival-Spielmodus erscheinen. Wie der aktuell spielbare Modus heißt, wissen wir auch nicht.

Klassenlos und bisher ohne Klasse

Im Kampf stehen euch bis zu drei Spezialfähigkeiten zur Verfügung, die ihr nach und nach im ringförmigen Talentbaum freischaltet, darunter die erwähnte Heilung oder Flächenangriffe. Außerdem lädt sich im Kampf eine Art Adrenalin-Balken auf, den Zweihandschwinger etwa in Form eines mächtigen Wirbelwindangriffs entladen dürfen.

Da es kein Klassensystem gibt, könnt ihr hier frei mischen oder euch primär in den Abschnitten tummeln, die mit eurer bevorzugten Waffengattung harmonieren. Zur Wahl stehen Bögen, Zauberstäbe und Schneidwaffen wie Schwerter und Äxte, die im Kampf eure Ausdauer verzehren. Das Managen des eigenen Ausdauervorrats ist beim Kämpfen und Herumgleiten auch schon das Höchste an taktischem Anspruch und bestimmte Schlüsseltalente helfen dabei.

Mehr Schaden verursacht ihr mit höherem Level (1 bis 40) nur bedingt. Den größten Sprung macht ihr ganz klar mit einem Wechsel zur nächsthöheren Materialstufe. Davon gibt es aktuell nur zwei: Stein und Knochen. Erst Ende Dezember, wenn mit dem Drachenhain das nächste Gebiet und Story-Kapitel vor der Tür steht, sollen Eisenwaffen und -rüstungen sowie Gebäude aus Stein Einzug halten.

Story-Kapitel ist hier voraussichtlich etwas vollmundig formuliert, denn die bisherige Handlung über die vom Gesichtslosen herbeigeführte Apokalypse, die beinahe sämtliche Menschen, deren Kampf-Titanen sowie die magischen Drachen auslöschte, müsst ihr euch nach und nach selbst über herumliegenden Steintafeln zusammenreimen.

Die eher zweckmäßigen NPC-Monologe in Textform (euer wahlweise weibliches oder männliches Alter Ego bleibt stumm wie die anderen Figuren) geben euch nur augenzwinkernde Anweisungen und lassen sich kaum als Handlungsträger bezeichnen. Die deutsche Übersetzung ist bis auf gelegentliche englische Textfetzen und eine wilde Mischung aus Siezen und Duzen solide.

Für Atmosphäre sorgen die flüssigen Animationen inklusive gekonntem Hechtsprung ins Wasser sowie eine hübsche Lichstimmung. Im Gegensatz zu Valheim, das es durch zahlreiche Design-Kniffe vermag, trotz simpler Grafik unfassbar viel Charme zu versprühen, können uns schöne Sonnenuntergänge nicht darüber hinwegtrösten, dass Frozen Flame insgesamt detailarm wirkt. Besonderes Wetter haben wir auch nicht zu Gesicht bekommen — nicht einmal Regen!

Das Spiel der guten Ansätze

Man merkt Frozen Flame einfach an allen Ecken an, dass es noch nicht fertig ist. Zwar funktionieren die vorhandenen Elemente inklusive Koop soweit ganz gut und Bugs sind uns nur sehr wenige begegnet, jedoch fehlt es allerorts noch an Substanz sowie kohärenter Inszenierung.

Je nach Baulust und Spielstil seid ihr in voraussichtlich fünf bis fünfzehn Stunden mit den beiden bisherigen Kapiteln durch. Die dümmliche KI, die sich gerne mal wehrlos an Objekten verkeilt und sich auch sonst mühelos ausmanövrieren lässt, stellt dabei keine Herausforderung dar.

Weil der Schwierigkeitsgrad auch im Koop mit Freunden nicht anzuziehen scheint, verschärft sich das Problem online nur noch mehr. Zwar kann der Host/Server-Admin an Spieler- und Monsterschaden herumschrauben und sogar einen Inventarverlust beim Ableben dazuschalten, doch ohne bessere KI und ausgefeiltere Kampfmechaniken dürfte das nur wenig helfen.

Am Erscheinungstag ging ein Aufschrei durch die Community, da Entwickler Dreamside Interactive die Erstellung dedizierter Koop-Server, um mit mehr als vier (inzwischen sechs) Spielern zu spielen, hinter einer Paywall zu verstecken schien.

Einzige Option war ein Link zum Server-Vermieter GPortal samt Profitbeteiligung für die Entwickler. Weniger als 24 Stunden später gab Dreamside die Server-Dateien frei und sich seither alle Mühe, die Spieler bei ihren Koop-Bestrebungen zu unterstützen.

Uns entzieht sich ohnehin, wie sich auf den geplanten öffentlichen Servern bis zu 50 Spieler beschäftigen sollen. Der eigene Questfortschritt ist instanziert, kann also von anderen nur gefördert, aber nicht sabotiert werden, egal ob ab- oder unabsichtlich, und das Bausystem ist für größere Gemeinschaftsprojekte oder PvP-Belagerungen noch viel zu flach.

Allerdings waren ja auch ursprünglich PvP-Orden mit unterschiedlichen Boni und Quests geplant sowie ein zyklisches Löschen der Spielwelt, bei dem bestimmte Erfolge der Mitspieler in den nächsten Durchlauf nachhallen. Dieser übergreifende Fortschritt sollte trotz der Resets für Langzeitmotivation sorgen und schließlich in der endgültigen Weltrettung münden.

Ob diese Pläne nach wie vor existieren, wissen wir nicht. Ein Blick auf das (Planungsbrett der Entwickler)verrät, dass bis März 2023 nur Action-Adventure-Nachschub ansteht. Namentlich der Drachenhain, neue Waffengattungen wie Speere, Schilde und Hämmer, Eisen- und Chitin-Ausrüstung, ein Verzauberungstisch, Reittiere sowie Musikinstrumente.

Angesichts (ernüchternder Spielerzahlen)von maximal 5.500 gleichzeitigen Usern (Tendenz stark fallend) bleibt abzuwarten, inwieweit Frozen Flame seine hochfliegenden Pläne umsetzen kann.

Vorläufiger Wertungskasten

Fazit der Redaktion

Ich hatte den Vorteil, dass ich relativ unbelastet nach Arcana aufbrechen konnte. Andere Spieler, die das Projekt bereits seit der Studiogründung 2016 oder der Crowdfunding-Kampagne 2020 verfolgen, zeigen sich inzwischen deutlich angesäuert über die noch fehlenden Features.

Dennoch muss ich gestehen, dass auch mein Ersteindruck während des Prologs war, dass ich hier einen Prototypen oder ein typisches Unreal-Engine-Studentenprojekt spiele. Erst nach Freischalten des Flugmodus und einigen vergnüglichen Koop-Stunden blitze das Potenzial durch, das in Frozen Flame schlummert. Nun kamen auch einige witzige Nebenquests zum Vorschein, etwa ein Eber, der mich verflucht, so erbärmlich wie er zu stinken. Oder die Schatztruhe, die auf den Inhalt einer anderen neidisch ist. Bitte mehr davon!

Ich würde es Entwicklern und Langzeit-Fans wünschen, dass das vorhandene Potenzial schlussendlich auch ausgeschöpft werden kann. Eine wirkliche Kaufempfehlung kann ich angesichts der mageren Spielsubstanz aber nur an experimentierfreudige Koop-Freunde aussprechen, denen ein kleiner Wochenend-Happen reicht.